In kurzen Zügen das
Wesentliche des Hinduismus anzudeuten, ist ein sehr gewagtes Unternehmen. Das
Folgende soll verstanden werden als ein subjektiv gefärbter Versuch, der keinen
Anspruch auf Vollständigkeit hat. Außerdem kann das Wesentliche nicht aus
Büchern entnommen werden, es kann teilweise erfahren werden durch die Teilnahme
am Leben, den Besuch eines Pujas (auch Pooja/Gottesdienst); Gespräche mit Hindus,
Swamis, Sadhus,
Teilnahme an einer Leichenverbrennung, Leben in einem Ashram etc.. Schwierig ist der
Hinduismus auch deshalb zu erfassen, weil er keinen Religionsstifter kennt. Er hat keine
geschlossene dogmatische Lehre. Viele haben ihn bereits definiert, und er erneuert sich
ständig selbst, indem Menschen von dem hinduistischen Gedankengut inspiriert werden oder
in den hinduistischen Schriften, Gedanken, Erklärungen
und Erfahrungen wieder finden, die ihnen ermöglichen, eigene Erlebnisse in Worte zu
fassen. Zu diesen Menschen gehören Ramakrishna, Vivekananda, Yogananda, Ramana
Maharshi,Muktananda, Ma
Anandamayee, Sathya Sai Baba und viele andere. Sie und die durch sie inspirierten Schüler haben das Mosaik der
Erkenntnis noch vielfältiger und vielfarbiger werden lassen, aber alle haben betont, daß
das Wesentliche immer dasselbe ist und bleibt.
Die wichtigsten und beliebtesten Gottheiten des Hinduismus:
Brahma
Brahma hat vier Köpfe, die seinen vollständigen Überblick als Weltenschöpfer
symbolisieren. Jedem Gott ist ein Reittier zugeordnet. Brahmas Reittier ist
Hamsa, die
Wildgans. Zu ihm gehört seine Gefährtin Sarasvati, Göttin der Kunst und des Wissens.
Sie wird mit der Vina, einem Saiteninstrument, dargestellt.
Vishnu
Vishnu ist der Welterhalter. Er steht entweder auf einem Lotus (Zeichen der Reinheit) oder
fliegt auf dem Vogel Garuda oder liegt auf einer Schlange. In seinen vier Händen hält er
Diskus, Meermuschel, Lotusblüte und Keule. Seine Gefährtin ist Lakshmi, die Göttin der
Schönheit, des Glücks und des Reichtums. Vishnu inkarniert sich von Zeit zu Zeit, um das
Dharma (Gesetz) auf der Erde aufrecht zu erhalten. Seine letzten Inkarnationen sind
Rama,
Krishna und Buddha. Folgen soll noch die zehnte Inkarnation, der
Kalkinavatar. Ramas Taten
und Leben mit seiner Gefährtin Sita sind im Ramayana niedergeschrieben.
Shiva
Shiva ist zugleich der Zerstörer und Erneuerer. Er kann viele Formen annehmen. Manchmal
erscheint er als Asket mit einem Tigerfell bekleidet. Die meisten der Sadhus beziehen sich
auf ihn, manche tragen auch den Shiva-Dreizack mit sich. Shiva wird nachgesagt, dass er
Ganja raucht. Deshalb trifft man in Nordindien und Nepal besonders viele Sadhus mit
Shilloms.
Shivas Reittier ist der Bulle Nandi. Seine
Gefährtin ist Parvati, die Mutter von Ganesha und Skanda, dem Kriegsgott mit dem Pfau,
und ferner eine schöne, manchmal exzentrische Göttin. Sie hat genauso wie Shiva den
Doppelaspekt von Erhaltung und Zerstörung. Parvati ist das Sinnbild der lebensspendenden,
lebenserhaltenden Mutter. Im Shaktismus ist sie die Verkörperung der göttlichen Energie
(shakti), ohne die der in sich ruhende Gott Shiva seine Funktion nicht erfüllen könnte.
Verkörpert sie den Aspekt der Zerstörung, wird sie Kali oder Durga genannt. Kali ist
schwarz und tanzt mit einer Kette von Menschenschädeln um den Hals. Einer der
glühendsten Verehrer Kalis war Ramakrisha (1834 bis 1886), der in der Nähe von Kalkutta
lebte und eine große Zahl Anhänger um sich versammelte. Hätte man ihm gegenüber
behauptet, seine Mutter Kali wäre nur schrecklich hätte er
wohl wissend nur gelacht. Shiva wird in der Form des
Shivalingams,
einer Darstellung des Phallus, verehrt. Dieser Shivalingam steht immer in der
Yoni, dem
Symbol des Weiblichen, beides zusammen Sinnbild für die Vereinigung, aus der neues Leben
entsteht.
Krishna
Krishna, der blaue Hirtengott mit der Flöte, hat seine Kindheit und Jugend bei den Hirten
verbracht, und viele Geschichten ranken um seine Spiele mit den Gopis, den Milchmädchen.
Die meisten Krishnabilder zeigen ihn mit Radha, einer Gopi. Anhänger Krishnas suchen die
Erlösung ganz in der Hingabe zu Krishna (Bhaktireligion). Krishna begegnet uns wieder in
einem Teil des Mahabharata, der Bhagavadgita. Hier ist er der Wagenlenker
Arjunas, der ihn
lehrt, dem Dharma entsprechend zu handeln und Gott zu vertrauen, ohne nach Erfolg oder
Mißerfolg zu fragen.
Ganesh
Ganesh, der Sohn von Shiva und Parvati, trägt einen Elefantenkopf, weil Shiva ihm in
einem Anfall von Wut den Kopf abschlug und ihm deshalb vom nächstbesten Lebewesen den
Kopf aufsetzen musste, um ihn wieder zum Leben zu bringen. Das erstbeste, gerade greifbare
Lebewesen war ein Elefant. DasReittier
Ganeshs ist eine Ratte. Die Ratte ist ein Symbol für die Kraft, die selbst im kleinsten
Lebewesen steckt und die Fähigkeit in sich birgt, selbst einen Elefanten zu tragen.
Der Hinduismus beeinflusst das ganze Leben von der Geburt bis zum Tod. Religion und
Alltag sind nicht voneinander zu trennen. Der Hinduismus ist keine Sonntagsreligion.
Der frühe Hinduismus entstand zwischen 1000 und 200 v.Chr. (auch Brahmanismus genannt)
durch die Vermischung des nichtarischen einheimischen Drawidenglaubens und der alten
arischen Vedenreligion, die die eindringenden Arier (Arya) mitbrachten. Diese sicherten
sich damit auch die politische Macht, indem die Brahmanen, die höchste Kaste, allein für
die richtige Ausführung der Opferhandlungen zuständig waren (siehe auch
Kastensystem).
Die Gottheiten der vedischen Zeit waren vor allem Agni, der Gott des Opferfeuers,
Surya,
der Sonnengott, und Indra, der Gewitter- und Regengott. Es gab 1028 Opfergesänge zur
Anrufung der Götter.
Im 8.Jh.v.Chr. wurden die Upanishaden, die ältesten philosophischen Schriften der
Inder und wahrscheinlich auch der ganzen Menschheit, aufgeschrieben, einhergehend mit
einer Veränderung des Brahmanismus in Richtung des heutigen Hinduismus. Die
hinduistischen Reformbewegungen, die sich vor allem gegen das rigorose
Kastensystem wandten, Buddhismus, Jainismus und später der Islam übten ihren
Einfluss auf den Hinduismus aus, dem es aber bis heute immer wieder gelang, neue
Denkanstöße zu integrieren. So wurde aus Buddha einfach eine Inkarnation
Vishnus, und er
ist so ins hinduistische Denken eingebaut.
Es braucht also keinen zu verwundern, wenn er bei gutgläubigen Hindus gleichzeitig
Bilder von Vishnu, Shiva, Buddha und Jesus einträchtig nebeneinander an der Wand findet.
Sie würden nie auf die Idee kommen, einen Christen zum Hinduismus bekehren zu wollen; der
Missionsgedanke ist ihnen fremd. Für sie gibt es viele Wege, die Erleuchtung, Erlösung,
das
Nirvana, das Moksha - oder wie die vielen anderen Namen für das einzig angestrebte
Ziel heißen - zu erreichen. Jedem Hindu ist es auch freigestellt, den Gott zu verehren,
der ihm am besten gefällt oder gerade Abhilfe in der momentanen Problemlage schaffen
kann. So wird jemand vielleicht Ganesh (Sohn von Shiva und Parvati), den beliebten Gott
mit dem Elefantenkopf und dem dicken Bauch, anbeten, weil er alle Hindernisse aus dem Weg
schaffen kann und als Gott der Weisheit gilt. Bei finanziellen Problemen wendet man sich
dagegen an einen anderen, speziell dafür zuständigen Gott. Für den Hindu sind die
verschiedenen Gottheiten nur Ausdruck und Manifestationen der verschiedenen Aspekte des
Göttlichen.
Wie schon betont, werden Brahma, Vishnu, Lakshmi, Parvati oder Kali nicht als mehrere
nebeneinander existierende Götter verstanden, sondern sind letzten Endes nur
Manifestationen und Symbole für das Absolute, das für den Verstand nicht mehr fassbar
ist, für das Brahman oder Atman. Brahman wird gemeinhin als Weltseele definiert, während
Atman die Einzelseele darstellt. Mit dem Verhältnis Atman zu Brahman beschäftigen sich
vor allem die Upanishaden.
Der Hinduismus schließt alles ein, sowohl den Glauben und die Begegnung mit einem oder
auch mehreren Göttern, als auch die buddhistische Position, dass es keinen Gott gibt;
dafür gibt es dann bei den Buddhisten die Erleuchtung und das
Nirvana und bei den
Hindus das Brahman. Deshalb gibt es auch so viele Untergruppen, die von streng
asketischen, triebunterdrückenden Positionen bis zu einer tantristischen Position, die
sexuelle Energie als Mittel zur Erreichung des Ziels einsetzt (siehe Tempel Khajuraho und
Religionen Nepals), reichen. Weiterer wichtiger Bestandteil des Hinduismus ist das Wissen
um die Wiedergeburt, eine Lehre, die sowohl der Buddhismus vom Hinduismus übernommen hat,
als auch das frühe Christentum. Jedes Lebewesen hat eine unsterbliche Seele
(atman), die
darauf drängt, nach dem Tode wiedergeboren zu werden. Je nach dem persönlichen Karma,
d.h. nach den positiven und negativen Handlungen, Gedanken und Bedürfnissen, wird jeder
in einer bestimmten Gestalt wiedergeboren. Da auch die Möglichkeit einer Wiedergeburt als
Tier besteht, sind strenggläubige Hindus gegen jegliches Töten von Tieren. Wunsch aller
Hindus ist es, diesem ewigen Kreislauf von Tod und Wiedergeburt zu entkommen und das
Nirvana, das Einswerden mit dem Brahman, dem Ewigen und Absoluten, zu erreichen.
Meditation, Yoga, Askese sind Hilfsmittel auf diesem Weg wie auch die Arbeit mit einem
Guru (siehe 'Ashrams'). Der Hindu versucht, dem Dharma (Gesetz) entsprechend zu leben. Das
Dharma beschreibt die moralischen und sittlichen Werte, das gesellschaftliche Leben, die
Regeln der Kaste und auch das universelle Gesetz. Das universelle Dharma erklärt für den
Hindu auch, dass wir zur Zeit im Kaliyuga leben, einem Zeitalter, das mit dem Niedergang
der Werte und der Hinwendung zum Materiellen verbunden ist. So wie das menschliche Leben
Tod und Wiedergeburt unterworfen ist, ist auch das Universum einem solchen Wechsel
unterworfen. Auf Zeiten, in denen sich die Menschheit ganz im Materiellen zu verlieren
droht, folgen spirituelle Perioden, in denen die Menschheit höhere geistige Fähigkeiten
besitzt und neue Hochkulturen entstehen. Zu früheren Zeiten war das Leben des Hindus in
vier Phasen unterteilt: Kindheit, Zeit des Lernens, Zeit der Familiengründung und des
Besitzerwerbens und die Phase, in der jeglicher weltlicher Besitz aufgegeben wurde, um
sich ganz dem Spirituellen zu widmen.
Aus dem Wissen um die Wiedergeburt ergibt sich auch ein ganz anderes Verhältnis zum
Tod. Der Tod ist etwas Natürliches, der alte Körper wird aufgegeben, und die Seele
wartet auf ihre neue Inkarnation in einem neuen, jungen Körper. Die Seele ist ewig, sie
ist Teil des Höchsten, aber auch getrennt davon, und dies ist der Grund für das
Verbleiben im Samsara, im ewigen Kreislauf von Tod und Wiedergeburt. Sie muss immer
wiederkehren, um sich in immer reinere und bewußtere Formen zu verwandeln und am Ende zu
ihrem Ursprung zurückzukehren, wieder eins zu werden mit dem Brahman. Alles Leben führt
zu diesem Ziel hin, und die Menschen wissen, dass selbst ein Buddha Hunderte von Leben
brauchte, um zum Buddha, zum Erleuchteten, zu werden. Warum deshalb unglücklich sein mit
dem jetzigen Leben? Der in diesem Glauben lebende Inder ist voller Zuversicht und kann
auch noch im größten Elend glücklich sein.
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